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Liechtenstein in Not


Helmut Buck

das grosse Wasser 1927. Le Liechtenstein en détresse - les grandes inondations de 1927.

Jahrtausendelang suchte und bahnte sich der Rhein seinen Weg zwischen Ursprung und Mündung, so wie er wollte. Immer wieder kam es dabei vor, dass er sich bis zu den
ansteigenden Rändern der zum Teil sehr breiten Täler ausbreitete und somit das Land in eine grosse Seenplatte verwandelte, so natürlich auch in Liechtenstein. Vielfache Bemühungen der jahrhundertelangen Kultivierung wurden oftmals mit einem Schlag zunichte gemacht.

Überschwemmung in Liechtenstein – Die Rheindammbruchstelle bei Schaan. Inondations au Liechtenstein - La rupture de la digue du Rhin près de Schaan.

 Ein riesiger See breitete sich aus. Un immense lac s’étendait.

 Zerstörung überall – hier die Bahngleise bei Schaan. La destruction partout -
ici, les voies ferrées près de Schaan.

Zeigte sich der Rhein über einen längeren Zeitraum als stiller Begleiter, so konnte er aber auch in kürzesten Abschnitten alles unter sich begraben. So kam es gelegentlich vor, dass die Ortschaften Gamprin und Ruggell mehrmals in einem Jahr von den Fluten heimgesucht wurden. Selbstverständlich versuchten die Bewohner immer wieder Gegenmassnahmen zu entwickeln, um den Fluss im Zaum zu halten. Waren es zunächst einfache Wuhrbauten, entwickelten sich über die Jahrhunderte hinweg immer bessere Möglichkeiten und Techniken in Richtung moderner Rheinverbauung. Durch vielschichtige Massnahmen Ausgangs des 19. Jahrhunderts, war man der Auffassung, weitestgehend alles im Griff zu haben. Man fühlte sich im Grossen und Ganzen sicher! Dass es am 25. September 1927 anders kam, hatte seine Gründe. Zum einen lag das Liechtensteiner Hochwuhr um ca. 40 cm tiefer als das schweizerische. Zum anderen lag die Eisenbahnbrücke Schaan-Buchs zu tief (Verhandlungen über eine Erhöhung der Brücke zwischen der österreichischen Bundesbahn und der Regierung Liechtensteins wurden seit 1925 geführt, wobei die Frage der Finanzierung die Anhebung bisher verhinderte). Da sich durch Kiesablagerungen im Flussbett die Sohle des Flusses ständig erhöht hatte, führte diese Kombination dazu, dass sich die Wassermassen an der Brücke aufstauten. Reichte dieser Abstand in den Jahren zuvor noch aus, kam es nun zur Katastrophe. Bedingt durch weitere Aufstauungen an anderen Brücken, bei denen viel mitgeschwemmtes Holz zu einer noch grösseren Verdichtung und Behinderung führte, konnte der Damm auf Liechtensteiner Seite nach sintflutartigen und mehr als 24 Stunden andauernden Regenfällen nicht mehr standhalten.

Hochwasser in Bendern. Inondations à Bendern. Überflutetes Ruggell. Ruggell inondé.

  Wasser wohin man sieht in Ruggell. De l’eau partout où l’on regarde à Ruggell.

Quellen 
Rheinnot in Liechtenstein von 1977, Herausgeber: die Gemeinden Eschen, Gamprin, Mauren, Ruggell, Schaan und Schellenberg, Briefmarken- katalog Postmuseum, Handbuch RLS und Internet. Herzlichen Dank an die Ring- freunde Rosmarie und Egon Oehri, Mauren, von denen ich das Bildmaterial über dieses schreckliche Unglück erhalten habe. Der Beitrag selbst kann natürlich nur ein minimaler Einblick in und auf das Geschehen von damals sein. Mit freundlicher Genehmigung des Rings der Liechtenstein- sammler, Mitteilungen 3|2015

Das Unglück nahm seinen Lauf!

Die Wassermassen suchten sich den leichtesten Weg und ergossen sich in Richtung Schaan. Durch den Bahndamm, der nur wenige Durchgänge bot, staute sich das Wasser zunächst hier auf, bevor er unter einer gewaltigen Strömung und enormem Druck, über- und unterschwemmt wurde. Durch diesen Dammbruch wurden die Dämme bei Balzers und Triesen sowie jene auf Schweizer Seite entlastet. Dafür erstreckte sich nun ein riesiger See in Richtung Feldkirch, bis an den Schellen- und Maurerberg. Die Orte Schaanwald, Nendeln, Mauren und Eschen waren von einer riesigen Wasserfläche umgeben. In Gamprin und Ruggell sah die Situation wesentlich schlimmer aus. Dort war das Wasser mit zerstörerischer Wucht auf die Häuser und Ställe geprallt und hatte vieles zerstört. Erst Tage danach sah man die ungeheuren Schäden, die diese Naturgewalt hinterlassen hat. Manch ein Bewohner des Landes verlor bei dieser Katastrophe sein Leben, und der materielle Schaden war immens gross. Viele standen vor dem «Nichts»! Unlösbar erschien die Situation. In erster Linie galt es, die in den Fluten Eingeschlossenen zu retten und gleichzeitig für Notunterkünfte zu sorgen. Parallel dazu musste über die Schliessung des gebrochenen Damms nachgedacht werden. Der Regierungschef Schädler bat die vorarlbergische und die schweizerische Regierung um Hilfe. Es waren aber nicht nur die unmittelbaren Nachbarn, die zur Hilfe eilten - aus vielen Teilen Europas meldeten sich Freiwillige. Noch am selben Tag trafen Helfer aus Vorarlberg ein. Freiwillige und Soldaten wurden von Schaffhausener Pontonieren unterstützt. Mit deren Gerät, Booten und Pontons gelang es ihnen, Eingeschlossene, Vieh und Hausrat aus dem überschwemmten Ruggell herauszuholen. Andere Hilfstruppen Vorarlbergs wurden gemeinsam mit Schweizern des Sappeurbatallion Nr. 6 aus Chur in Schaan eingesetzt, um an der Dammbruchstelle zu arbeiten. Parallel musste für die hilfsbedürftige Bevölkerung schnellstens die täglichen Dinge des Lebens organisiert werden. Lebensmittel, Kleidung und geeignete Unterkünfte waren vorrangige Bedürfnisse. Ein Spendenaufruf im In- und Ausland erfolgte für Geld- und Sachspenden zur Verwendung für den Wiederaufbau privater Schäden. Der Landtag und die Gemeindevertreter in Gamprin versammelten sich, um das «Gesetz zur Regulierung der Hochwasserschäden» zu ver­abschieden und die Regierung zu ermächtigen, die Wiederherstellungsarbeiten zu koordinieren. Etwas vom Wichtigsten war der Bau eines Querdamms bei der Gampriner Mühle, damit das Wasser wieder in sein angestammtes Bett zurückfliessen konnte, um Ruggell vom vielen Wasser zu befreien. Dieser Plan stiess aber auf Widerstand, da die Eschener die Befürchtung hegten, dass die Versumpfung des «Eschener Rieds» sich auf Dauer verschlimmern würde. Es wurde ein zusätzlicher Artikel in das Gesetz aufgenommen, der den Eschener Bürgern garantierte, dass der vor der Katastrophe bestehende Zustand wiederhergestellt würde. Bereits am 10. Oktober verliessen die ausländischen Soldaten das Land. Die Arbeiten konnten nun mit zivilen Kräften fortgesetzt werden. Die eingesetzte «Baukommission», die hauptsächlich für die Wiederherstellungsarbeiten der Dämme im Unterland und Schaan zuständig war, sorgte für die Beschaffung des benötigten Materials. Vorrangig war die Schliessung der Dammlücke in Schaan durch ein Notwuhr. Dabei gestaltete sich die Koordination mit der Neuerstellung der Dämme in Gamprin und Ruggell als problematisch, da eine zu frühe Einleitung des Wassers in Schaan die Dammbauten im Unterland gefährden könnte. Während die Arbeiten in Schaan früh begonnen wurden, verzögerten sich jene im Unterland. Erst Mitte Oktober konnten die Arbeiten an Baufirmen, die später Tag und Nacht arbeiteten, vergeben werden. Man rechnete damit, dass die Dammarbeiten frühestens Ende November fertig würden. Da man mit den Arbeiten in Schaan schon weit fortgeschritten war, beschloss man gegen den Widerstand der Gemeinde Schaan, die dortigen Arbeiten auszusetzen und gebündelt im Unterland weiterzumachen, was letztendlich zum offenen Disput führte. Man einigte sich darauf, dass das Notwuhr in Schaan bis zum 8. November fertig sein sollte. Aber auch dieser Termin verzögerte sich, und das Schicksal nahm erneut seinen Lauf.

10. November 1927

Ein Wetterwechsel mit starkem Föhn führte zu einer ausserordentlichen Schneeschmelze und sorgte aufgrund weiterer Regenfälle erneut für Hochwasser. Die noch nicht fertig gestellten Notwuhre reichten bei Weitem nicht aus, um die Wassermassen zu stoppen. Grosse Teile wurden erneut zerstört. Schon vorher erhobene Vorwürfe der Bevölkerung gegenüber der Regierung, dass die Massnahmen zu lange dauern würden, verstärkten sich nun verständlicherweise um ein Vielfaches. Nach einigem Hin und Her konnte das Wuhr bei Schaan bis Weihnachten geschlossen werden. Bis alle Schäden im Land behoben waren, vergingen viele Monate. Erst im Winter 1929|1930 wurde die gleiche Dammhöhe wie auf Schweizer Seite erreicht. Die Kosten gingen in die Millionen. Unerwartet gross und umfangreich waren die Reaktionen auf das Unglück. Durch Aufrufe der Politik und Pressearbeit gab es Spenden von Privaten, Regierungen sowie vielen Institutionen aus aller Welt, wie z.B. dem «Roten Kreuz». Nicht vergessen darf man aber, dass es auch in der Schweiz zu erheblichen Schäden gekommen war und somit auch hier viele Schäden zu beheben waren. Im darauffolgenden Frühjahr kamen 169 freiwilligen Helfer aus neun Nationen nach Liechtenstein. Sie wohnten in der Schaaner Schule, in Kindergärten oder Vereinshäusern. In Feldküchen wurde gekocht, und ihr tägliches Leben war sehr einfach gestaltet. Später vergrösserte sich die Gruppe auf über 600, selbst aus Mexiko waren sie gekommen. Alle arbeiteten ohne Lohn – die Verpflegung wurde vom liechtensteinischen Hilfskomitee übernommen. Diese freiwilligen Helferinnen und Helfer gewannen durch ihren unermüdlichen Einsatz die grösste Wertschätzung der Liechtensteiner Bevölkerung. Nicht vergessen darf man die Schweizer Pfadfinder. Sie kamen im April für 14 Tage und später in den Sommerferien, in denen sie ebenso wertvolle Arbeit leisteten.

Die Bevölkerung begutachtet die immensen Schäden. La population évalue les immenses dégâts

Überschwemmte Felder.  Champs inondés.

Rheinnot-Zuschlagsmarken

Als weitere Einnahmequelle beschloss die Regierung im Oktober 1927, eine Wohlfahrtsmarkenausgabe «zur Linderung der Not der Hochwassergeschädigten im Liechtensteiner Unterland» herauszugeben. Diese Ausgabe wurde ab dem 6. Februar 1928 mit der Bezeichnung «Rheinnot-Ausgabe» an den Postschaltern verkauft. Entworfen von Eugen Verling, St. Gallen, wurden die Briefmarken im Steindruckverfahren des Institut Orell-Füssli in Zürich hergestellt. Verkauft wurden die Marken bis zum 1. November 1928 und waren bis zum 31. Dezember 1928 frankaturgültig. Die Zuschlagsmarken wurden in einer Auflagenhöhe von 300’000 Stück gedruckt, wobei nur etwa 55’000 Serien tatsächlich verkauft wurden. Von allen vier Marken gibt es einige Platten­fehler, die sowohl im Ringhandbuch wie auch in den bekannten Katalogen aufgeführt sind. 1937 gab es eine Briefmarkenausgabe, die an dieses Unglück erinnert. Unter dem Titel «Arbeitsbeschaffungs- oder Rheinnot-Gedenkausgabe» wurden vier Marken verausgabt. Entworfen vom Berliner Heinz Raebiger und hergestellt im Ätztiefdruck von Courvoisier SA in La Chaux-de-Fonds, konnte man diese Marken ab dem 30. Juni 1937 an den Postschaltern erwerben. Verkauft wurden sie bis zum 31. Dezember 1937 und frankaturgültig waren sie bis zum 30. April 1938. Die Auflagenzahlen dieser vier Briefmarken, bei denen keine Plattenfehler bekannt sind, sind sehr unterschiedlich:

10 Rp. 295’250 gedruckt | 68’304 vernichtet

20 Rp. 234’875 gedruckt | 54’664 vernichtet

30 Rp. 192’175 gedruckt | 33’878 vernichtet

50 Rp. 161’875 gedruckt | 23’011 vernichtet

Um dem schrecklichen Unglück zu gedenken, kam am 25. und 26. September 1937 bei folgenden Postämtern ein Sonderstempel «Rheinnot-Wiederaufbau 1927| 1937» zum Einsatz: Balzers, Eschen, Mauren, Ruggell, Schaan, Triesen, Triesenberg und Vaduz. Der Stempel war schwarz, nur in Mauren war er am 25. September blau.

Erinnerungsserie von 1937. Série de souvenirs de 1937. 10 Rp.: Schlucherbrücke in Malbun 20 Rp.: Strassenbau Rotenboden in Triesenberg 30 Rp.:  Einmündung des Binnenkanals in den Rhein 50 Rp.: Fürst-Franz-Brücke 10 ct. : Pont de Schlucher à Malbun 20 ct. : Construction de la route à Triesenberg 30 ct. : Confluence du canal intérieur avec le Rhin 50 ct. : Pont Fürst-Franz

Die vier Zuschlagsmarken von 1927. Les quatre timbres de 1927. 5+5 Rp.: Zerstörte Eisenbahnbrücke bei Schaan 10+10 Rp.: Dorf  Ruggell unter Wasser 20+10 Rp.: Rettungsaktion durch österreichisches Militär 30+10 Rp.: Rettungsaktion durch schweizerische Pontoniere 5+5 ct. : Pont de chemin de fer détruit près de Schaan
10+10 ct. : Village de Ruggell sous l’eau 20+10 ct. : Opération de sauvetage par des militaires autrichiens 30+10 ct. : Action de sauvetage par des pontonniers suisses

Einschreibe-Brief vom 14.XII.28 von Schaan nach St. Gallen, frankiert mit den Zuschlagsmarken 30+10 sowie 10+10 Rp. Lettre recommandée du 14.XII.28 de Schaan à St. Gallen, affranchie avec les timbres de surtaxe 30+10 ainsi que 10+10 cts.

Der komplette Satz auf R-Brief nach Lausanne. Sonderstempel Mauren vom 25.IX.37 - nur an diesem Tag und in diesem Ort mit blauer Stempelfarbe. La série complète sur lettre R à destination de Lausanne. Cachet spécial de Mauren du 25.IX.37 - uniquement à cette date et dans cette localité avec une encre bleue pour le cachet.