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Schwarmintelligenz


Urs Beck CPhH

Schwarmintelligenz bei Tieren ist ein faszinierendes Naturphänomen. L’intelligence collective chez les animaux est un phénomène naturel fascinant.

Schwarmintelligenz, auch als kollektive Intelligenz bekannt, beschreibt das bemerkenswerte Verhalten, das entsteht, wenn Tiere in Gruppen zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Diese Form der Intelligenz zeigt sich bei vielen Tierarten, zum Beispiel bei
Insekten, Fischen, Vögeln usw.

Der Schlüssel zur Schwarmintelligenz liegt in der Interaktion und Zusammenarbeit der einzelnen Mitglieder der Gruppe, wodurch eine höhere Komplexität und Effizienz erreicht werden, als dies durch isolierte Individuen möglich wäre. Eines der herausragendsten Merkmale ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Das bedeutet, dass die Gruppen ohne zentrale Steuerung agieren. Jedes Individuum folgt einfachen, lokalen Regeln und reagiert auf unmittelbare Umgebungsreize und Handlungen seiner Nachbarn. Diese lokalen Interaktionen erfolgen oft über einfache Kommunikationsmittel wie chemische Signale (Pheromone bei Insekten), visuelle Hinweise (bei Fischen und Vögeln) oder mechanische Reize (z.B. Vibrationen bei Ameisen). Der kontinuierliche Austausch von Informationen ermöglicht es der Gruppe, kollektive Entscheidungen zu treffen und koordinierte Aktionen durchzuführen.

Abb. 1: Ist die Pheromone-Spur bei diesen roten Waldameisen schon gelegt? Rollenmarke. Abb. 2: Kundschafterbienen haben einen geeigneten Platz gefunden, und der ganze Schwarm hat sich nun an einem Ast festgesetzt. Privat-Postmarke.

Abb. 3: Fischschwärme
Gemeinsames Ziel: hungriger Heringsschwarm. Vereinter Schwarm von bunten Virginia-Grunzern. Neuere Studien zeigen, dass sich Mantarochen nicht nur von Krill, sondern auch – besonders in der Tiefe – von Fischen ernähren. Marken (Palau): Mantarochen und Heringsschwarm.

Jullien-Gold-Karpfenschwarm auf Futtersuche. Kleiner Schwarm von Indopazifischen Tarpunen

Abb. 4: Vogelschwärme

Stockenten-Schwarm beim eindrucksvollen Abflug. Es ist faszinierend, eine Taubenschwarm bei seinen «Kunstflügen» zu beobachten.

Abb. 5: Antilopen

Eine kleine Herde von Dama-Gazellen (Unterfamilie Antilopinae) – auf der Flucht?   Irgendetwas wittert diese Dorkas-Gazellenherde (Unterfamilie Antilopinae).

Abb. 6: Rinder

Afrikanische Büffelherde (Tribusrinder) eilig unterwegs. Probedruck für die US-Ausgabe 1898 der sagenumwobenen Szene «Rinder im Sturm» - Leitstier und Rinderherde. Der schottische Landschaften-Maler John MacWhriter (1839–1911) betitelte das im schottischen Hochland gemalte Bild «The Vanguard» («Der Leitstier»). Die US-Rinderzucht war aber volkswirtschaftlich viel zu bedeutend, sodass die Post die Briefmarke kurzerhand «Western Cattle In Storm» («Rinder im Sturm», sinnbildlich: widerstandsfähig, gesund und leistungsfähig) benannte.

Abb. 7: Schafe

Mufflons-Familien-Herde am zügigen Vorwärtsdrang (Wildschafe).
 Schafherde trinkt an einem artesischen Brunnen (Ganzsache 1898). Sollte es ausnahmsweise zu einem plötzlichen Austritt von Wasser und Gas kommen, würde die Herde koordiniert mit Flucht reagieren.

Abb. 8: Elefantenherden

Teil einer «intelligenten» Elefantenherde, in der Regel zwischen 10 und 30 Tieren. 

Abb. 9: Wölfe und Löwen

Bei der koordinierten Wolfsjagd führt das Alpha-Paar (Rüde und Fähe) das Rudel an. Das Löwenrudel zeigt koordiniertes Verhalten. In der Regel jagen die Löwinnen, bei grösserer Beute, wie hier ein Zebra, hilft der Löwe mit.

Das Phänomen Emergenz

Die Bildung von Gruppen in der Luft, auf dem Land oder im Wasser ist eine Frage des Überlebens. Der Zusammenschluss bringt viele Vorteile, von der Nahrungssuche bis zum Schutz vor Gefahren. Treten viele Kleine als ein Grosses auf, kann das einen Fressfeind abschrecken. Greift der Räuber dennoch an, kann er in der Menge nur schwer ein einzelnes Tier ins Visier nehmen. Das vorteilhafte Leben in der Gruppe ermöglicht es den Tieren, scheinbare Probleme zu lösen, die ein einzelnes Tier nicht lösen kann. Dieses Phänomen wird Emergenz genannt, das Heranbilden von neuen «Systemeigenschaften».

Die Mechanismen der Schwarmintelligenz

Ameisenkolonien sind eines der besten untersuchten Beispiele für Schwarmintelligenz. Ameisen kommunizieren durch Pheromone, chemische Substanzen, die sie auf ihrem Weg hinterlassen. Wenn eine Ameise eine Futterquelle entdeckt, markiert sie den Weg zurück zum Nest mit Pheromonen. Andere Ameisen folgen diesen Spuren und verstärken sie, wenn sie ebenfalls Nahrung finden. Dieser einfache Mechanismus ermöglicht es der Kolonie, den kürzesten und effizientesten Weg zur Futterquelle zu finden (Abb. 1). Bienenkolonien zeigen eine beeindruckende Form der Schwarmintelligenz bei der Entscheidungsfindung. Wenn ein Bienenvolk ein neues Nest finden muss, fliegen Kundschafterbienen aus und suchen nach geeigneten Orten. Diese Kundschafter kehren zurück und führen einen «Schwänzeltanz» auf, der in der Qualität und Richtung des gefundenen Standorts kommuniziert. Je überzeugender der Tanz, desto mehr Bienen werden dazu bewegt, den Ort zu besuchen. Dieser Prozess, der mehrere Tage dauern kann, führt schliesslich zur kollektiven Entscheidung für den besten Nistplatz (Abb. 2). Fischschwärme zeigen synchronisierte Bewegungen und beeindruckende Manöver, um Raubtieren zu entkommen oder nach Nahrung zu suchen. Fische nutzen sowohl visuelle als auch mechanische Signale, um ihre Bewegungen zu koordinieren. Das kollektive Verhalten eines Fischschwarms ist oft ein Beispiel für emergente Phänomene (Abb. 3). Die beeindruckenden Formationen von Vogelschwärmen am Himmel sind ein weiteres Beispiel für Schwarmintelligenz. Diese Schwärme folgen drei einfachen Regeln: Halte Abstand zu den Nachbarn, richte dich an ihnen aus und bleibe in der Gruppe. Die ermöglicht es den Vögeln, in grossen Gruppen zu fliegen, ohne zusammenzustossen und sich synchron zu bewegen. Die Koordination erfolgt durch direkte Sichtlinien und ultraschnelle Reaktionszeiten, wodurch dynamische und fliessende Bewegungen entstehen (Abb. 4). 

Kostbare Energie sparen

Es ist seit Langem bekannt, dass Zugvögel, die in Schwärmen mit dem Kompass im Auge ziehen, in V-Formation fliegen, um beim kräftezehrenden Flug Energie zu sparen. Das bedeutet, dass die Vögel immer versetzt hinter dem Vordermann fliegen. So fliegen die Nachzügler in der Wirbelschleppe, dem Sog, den der Leitvogel durch seinen Flügelschlag erzeugt. Das gilt auch für Fischschwärme. Das haben Wissenschaftler mithilfe von Roboterfischen herausgefunden. Das Geheimnis des Energiesparens liegt hier in der Synchronisation der Flossenschläge. Der am Ende schwimmende Fisch muss den Schlag seiner Schwanzflosse an den des vor ihm schwimmenden Tieres anpassen. Dabei entsteht, je nach Abstand zum Vordermann, eine optimale Phasenverschiebung. Jedes Individuum hat nur wenige Informationen über seine Umwelt und interagiert nur mit einer begrenzten Anzahl von Artgenossen. Durch das Leben in der Gruppe erwirbt der Schwarm ein kollektives Wissen über seine Umwelt und kann darauf reagieren. Er trifft als Ganzes koordinierte und sinnvolle Entscheidungen.

Herden und Rudel: Kooperatives Verhalten

Bei Hornträgern wie Antilopen (Abb. 5), Rindern (Abb. 6) und Schafen (Abb. 7) ist das Herdenverhalten ein gutes Beispiel für kollektive Entscheidungsprozesse. Die Tiere bewegen sich in Gruppen, um sich vor Raubtieren zu schützen, zu wandern und Futter zu finden. Elefantenherden (Abb. 8) zeigen starke kollektive Intelligenz. Sie navigieren gemeinsam über grosse Entfernungen, um Wasserquellen zu finden und haben komplexe soziale Strukturen, die auf langfristigen Beziehungen und Kooperation beruhen. Stark sozial organisierte Raubtierarten, im Besonderen Wölfe und Löwen (Abb. 9), jagen in Rudeln und entwickeln dabei koordiniertes Verhalten, das auf kollektiver Intelligenz basiert. Durch Kommunikationssignale und soziale Hierarchien können Wölfe und Löwen komplexe Jagdstrategien erarbeiten und als Rudel grössere Beutetiere erlegen. Sei es Schwarm, Herde oder Rudel: Schwarm- oder kollektive Intelligenz respektive kooperatives Verhalten sind im Tierreich omnipräsent: zur Verteidigung, zur Nahrungssuche und letztlich zur eigenen Arterhaltung.